»Der Wehrwolf« (Hermann Löns, 1910)

     Der Anti-Kanon – literarische Meisterwerke aus der untersten Schublade

Cover Hermann Löns, »Der Wehrwolf« (1976)
Heyne (1976)

Hermann Löns' »Der Wehrwolf« liegt bei mir nicht in der untersten Schublade, sondern auf dem obersten Regalbrett im Wohnzimmer, wo niemand ohne Leiter drankommt. Da fristet das Buch ein weitgehend unbeachtetes Schattendasein. Zu den wenigen Freunden zählen Walter Flex' »Wanderer zwischen beiden Welten« und Ernst Jüngers »In Stahlgewittern«.

»Der Wehrwolf« ist also ein schwieriges Buch. Dabei liest es sich flott runter – man merkt, dass der Autor, Hermann Löns, einiges Herzblut vergossen hat, als er es verfasste. Ach was, das ist natürlich eine maßlose Untertreibung. Vielmehr geriet er beim Schreiben in einen Schaffensrausch, der ihm die Unterscheidung zwischen Realität und Fantasie schwer fallen ließ. Zeitweise schien er sich sogar für den Protagonisten des Buches zu halten.

Dieser Wulf Harm ist ein Deutscher, ein Niedersachse, ein Heidebewohner, wie Löns ihn sich wünschte. Ein ganzer Kerl, schweigsam und gerecht, rachsüchtig und gewalttätig. Zumindest schreckte, er, wenn es um die gute Sache ging, vor keinem Mord und keinem Massaker zurück. Und worin bestand diese gute Sache? Na ganz einfach: Alle, die in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges nicht in die Heide gehören, um die Ecke zu bringen beziehungsweise aufzuhängen oder im Sumpf zu versenken. Zack, weg damit! Zu dieser breiten Zielgruppe gehören natürlich auswärtige und ausländische Söldner, aber auch umherziehende Landstreicher und Zigeuner und schließlich alle, die sich irgendwie verdächtig machen. Zum Beispiel durch ihre Anwesenheit.

Nun ist Hermann Löns vor allen Dingen bekannt geworden als Wald-, Feld- und Wiesendichter, der die Schönheit der Natur in kleinen possierlichen Tiergeschichten und -gedichten besungen hat. Damit prägte er nachhaltig das Bild der Lüneburger Heide, wie es noch heute in der Eigenwahrnehmung der Heidjer und der Außendarstellung der ortsansässigen Kurverwaltungen rezipiert wird.

Man darf dies – hie Idylle, da Brutalität – allerdings nicht als unvereinbare Gegensätze ansehen. Vielmehr bedingen sie einander. Denn gerade die karge Schönheit der Lüneburger Heide ist es doch, die jeden Gewaltausbruch zu ihrer Verteidigung rechtfertigt. Das fanden auch die Nazis, die es sich daher nicht nehmen ließen, ihre Guerilla-Organisation „Werwolf“ zu nennen. Der Name erinnert nämlich einerseits an das gleichnamige Fabelwesen, das sich bei Vollmond von einem harmlosen Mann in einen hungrigen Wolf verwandelt, und andererseits an Löns' Buch, das daher gegen Kriegsende auch noch mal in einer großen Auflage gedruckt wurde, um die deutsche Bevölkerung auf einen langanhaltenden Kleinkrieg gegen die angehenden Besatzer einzustimmen.

Die ließ sich von der Propaganda aber doch nicht mehr wie gewünscht beeinflussen. Zu offensichtlich war wohl die Überlegenheit der Alliierten, so dass sich die deutschen Jungen und Männer keineswegs in We(h)rwölfe verwandelten, sondern sich vielmehr willig unterwarfen und umerziehen ließen. Eine kluge Entscheidung!

Woher ich solche Bücher kenne? Nun, wenn ich mich richtig erinnere, habe ich es Anfang der 80er Jahre zur Konfirmation geschenkt bekommen – was damals wohl durchaus Usus war. Was beweist, wie die völkische Ideologie – zu deren Verfechtern Löns gezählt werden muss, auch wenn er die 20er und 30er Jahre nicht mehr erlebt hat, weil er sich gleich zu Beginn des 1. Weltkriegs an die Front meldete und totschießen ließ – auch vierzig Jahre nach Kriegsende noch verbreitet wurde.

Aber ein gut geschriebenes Buch ist es trotzdem, denn Löns kann nicht nur spannend erzählen, sondern entwarf für das Werk auch eine eigenes Idiom, das auf Versatzstücken des Niederdeutschen beruhte. Damit ist er im wahrsten Sinne des Wortes einer der großen Sprachschöpfer der deutschen Literatur.

Aber ich glaube, dass ich langsam zum Ende kommen sollte, damit ich mich hier nicht noch um Kopf und Kragen schreibe, indem ich mich als Propagandist faschistoider Bücher verdächtig mache. Also: Man kann das Buch lesen, sollte aber immer im Hinterkopf behalten, was es an verachtenswerten Inhalten zu transportieren versucht.

Axel Klingenberg

Kommentare

Kommentar von Hendri Warners |

Tja – der erzreaktionäre Hermann Löns: schlimm, schlimm …

Charmant und fair, dass Sie ihm gekonntes Schreiben attestieren.
Ich lese gerade den »Wehrwolf« und muss Ihnen Recht geben:
das Ding ist saugut geschrieben!

Wäre da nicht dieses »lack of political correctness« …

Für aufgeklärte, GRÜNE Haidjer käme Selbstverteidigung und Wehr-
haftigkeit heute nicht mehr in Frage. Auch im Falle mordender Marodeure -
und die gab's im 30jährigen Krieg en masse - würden die Geschundenen
heute differenzieren, »genauer hinsehen« und immer im Einzelfall abwägen:
hat der Spießgeselle vielleicht ein Kindheitstrauma? Starb sein Urgroßvater
früh? War eventuell Alkohol im Spiel?

Übernehmen Sie sicherheitshalber den aktuellen Trend der US-Universitäten
und labeln Sie ihre Schundliteratur wie folgt:
»Dieser Roman beschreibt Szenen von Grausamkeit und erschreckender Wahrhaftigkeit, die den sensiblen Leser eventuell verstören könnten.«

Das oberste Regalbrett ist bei Weitem nicht ausreichend!

P.S. Und wie bewertet die Zensur Lönsens »Mümmelmann«?
Mümmelmann ist doch korrekt? Oder?

Kommentar von Torsten |

Das mit den Tatern war schon genial. Aber die Hunde, die daneben aufgehängt wurden konnten nun wirklich nichts dafür. Oder waren es Schweine? 30 Jahre her, dass ich das Buch gelesen habe.

Kommentar von Peter von Ort |

Kann dem Kommentar Hendri Warners nur zustimmen.

Kommentar von claudia siegert |

Das ist aber eine merkwürdige Interpretation. Hermann Löns zog in den Krieg, "um sich niederschiessen zu lassen". Das war Ihrer Ansicht nach auch bestimmt der Fall bei August Macke, Frank Mark und Walter Flex, die ihr Leben für das Vaterland opferten, um gegen die Franzosen zu kämpfen. Ich empfehle Ihnen innigst das Buch von Walter Flex "Wanderer zwischen beiden Welten" zu lesen. Und Sie können die Wehrwölfe nicht mit den lateinamerikanichen Guerrillas vergleichen, die Guerrilleros kämpfen nicht für das Vaterland, da kenne ich mich als Deutsch-Argentinierin besser aus als Sie.
mfG

Kommentar von Axel Klingenberg |

Aufschlussreiche Kommentare. Sie zeigen, wie schnell vorgebliche "Selbstverteidigung und Wehr-
haftigkeit" in offene Mordlust ausarten. Tatsächlich ist es nicht übertrieben zu sagen, dass Löns in den Krieg zog, "um sich totschießen zu lassen". (Homoerotischer) Körperkult (par excellence beim "Wanderer zwischen beiden Welten"), Gewaltverherrlichung und Todessehnsucht hängen eng zusammen - in den Romanen von Flex, Jünger und Löns wird dies mehr als deutlich. Der Wunsch andere zu töten - seien es Franzosen oder Sinti - geht hier immer mit der Sehnsucht einher, das eigene Leben zu beenden. Kein Wunder: Wer sein eigenes Leben für wertlos hält, weiß auch das Leben anderer nicht wertzuschätzen - und umgekehrt. Auf gar keinen Fall möchte ich jedoch die Wehrwölfe (und schon gar nicht die nazistischen Werwölfe) mit lateinamerikanischen Guerrilleros gleichsetzen. Letzteren würde ich nämlich durchaus gute Absichten unterstellen. Dies gilt umso mehr für die Partisanen und Widerstandskämpfer im 2. Weltkrieg, die dafür gekämpft haben, dass Franzosen und Deutsche einander nie wieder gegenseitig umbringen müssen.
PS Wo der Mümmelmann ist, ist auch der Jäger nicht weit. Löns' Idyllen werden daher oft genug durch einen Gewehrschuss beendet.

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